Bei der Beschäftigung mit Selbstzweifeln stelle ich immer wieder fest, wie schmal der Grat ist zwischen gnadenloser Selbstgeißelung oder einem amüsierten, vergebungsbereitem Verständnis für sich.  Innerhalb von Sekunden entscheiden wir, ob wir uns fertig machen, klein und schlecht fühlen oder aufstehen, die Krone richten und bereit sind, unseren Weg entschlossen fortzusetzen.

Die spannende Frage des Tages: Was macht den entscheidenen Unterschied aus?

Ich hatte dir schon angekündigt, dass ich dir die Methode „The Work“ von Byron Katie vorstellen möchte. Ich bin von dieser Technik, die eigenen Gedanken zu überprüfen, seit Jahren begeistert und überzeugt, die Welt wäre sehr viel friedlicher, wenn „The Work“ ein Schulfach wäre. Byron Katie möchte dir deine Überzeugungen nicht weg nehmen, sie sagt auch nicht, dass du positiv denken musst, um glücklich zu sein. Sie lädt dich lediglich sehr liebevoll und seeehr konsequent ein, zu hinterfragen, ob das, was du glaubst, wahr ist und wie du dich mit dem, was du für wahr hältst, fühlst.

Mit einem Seitenblick zu Lara, sehen wir uns die Methode, die aus 4 Fragen und der Umkehrung des Ausgangsgedankens besteht, an einem Beispiel an.

Lara glaubt, sie muss sich Anerkennung und Liebe verdienen. Einer ihrer Glaubenssätze ist „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“ . Bisher war Lara nicht klar, dass es sich bei dieser Aussage um einen Gedanken / eine These handelt. Schließlich fühlt sich ihr Leben genau so an und ihre bisherigen Erfahrungen geben ihr Recht.

Wir überprüfen also mit Hilfe von „The Work“ den Gedanken „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“

1. Lara, ist das wahr?    

     „Schluchz, schnief… Jaaaaa 🙁 „

2. Kannst du absolut 100%ig sicher wissen, dass das wahr ist (99% reichen nicht!)??

      “ Mmh, najaaaaa, also, äh… Nö. (ABER…. – Aber was?   … nix…  – Gut, also weiter)

Wenn du den Gedanken „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“ glaubst, wie fühlst du dich dann?

    „Hilflos, überfordert, unsicher… Gestresst, unter Druck gesetzt… Ich werde wütend.“

Wie geht es dir körperlich?

    “ Ich verkrampfe, drücke die Knie durch, beiße die Zähne zusammen, mein Hals wird eng, ich bekomme schlechter Luft. Und dann merke ich, wie ich müde werde, schlapp irgendwie.“

Wie gehst du mit dir selbst um, wenn du glaubst „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“?

    “ Ich bin ungeduldig mit mir, wenig liebevoll. Ich mache mich klein, ordne mich unter, versuche everybody´s darling zu sein und bin gleichzeitig genervt davon. Ich fühle mich schuldig, weil ich genervt bin, ich sollte doch nett und lieb und fröhlich sein… „

Wo bist du mit deiner Aufmerksamkeit?

    “ Bei den Anderen…“

Nimmst du in den Momenten deinen Körper wahr? Hast du Zugang zu deinen Gefühlen?

    “ Kaum…“

Wie gehst du mit „den Anderen“ um, wenn du diesen Gedanken glaubst?

    „Ich bin insgeheim sauer auf sie, weil ich keine Lust habe, ihre Erwartungen zu erfüllen und weil sie mich nicht akzeptieren, so wie ich bin. Aus Angst, abgelehnt zu werden, zeige ich das aber nicht. Stattdessen versuche ich so zu sein, wie sie mich haben zu wollen.“

4. So, jetzt atme mal tief durch und nutze deine Vorstellungskraft: Wer wärst du ohne diesen Gedanken? Was wäre, wenn du diesen Gedanken „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“ nicht glauben könntest? Wenn du ihn nicht für wahr halten würdest?

    „Ich wäre wohl weniger fixiert auf die Anderen. Und könnte mal herausfinden, was ICH will. Ich wäre freier, fröhlicher, lockerer. Der Druck lässt nach. Ich hätte nicht mehr ständig Angst, etwas falsch zu machen.“

Wie geht es dir körperlich ohne den Gedanken?

     „Ich bekomme besser Luft, bin weniger verbissen. Kiefer, Nacken und Schulter sind gelöster, ich kann die Knie locker lassen. Ich stehe auch aufrechter, gerader.“

Wo bist du mit deiner Aufmerksamkeit?

    „Bei mir. Ich nehme meinen Körper und meine Gefühle deutlicher wahr. Ich kann mich daruf konzentrieren, was mir jetzt Freude machen könnte.“

Und wie gehst du dann mit dir und den Anderen um?

    „Freier, fröhlicher, unverkrampft und mit Spaß. Viel, viel offener, nicht mehr so in Hab-Acht-Stellung. Und ich sehe die Anderen auch mehr als die Menschen, die sie sind. „

Gibt es für dich einen stressfreien Grund, an dem Gedanken „Ich sollte die Erwartungen Anderer erfüllen, damit ich geliebt werde.“ festzuhalten?

    „Im Moment nicht 🙂 „

5. Wie könntest du deinen Ausgangsgedanken umkehren ? (Dieser Schritt braucht sicher etwas Übung.)

    5.1. „Ich sollte die Erwartungen Anderer nicht erfüllen, damit ich geliebt werde.“

– Findest du ein Argument, warum diese Aussage wahr sein könnte?

    „Die Erwartungen Anderer zu erfüllen ist keine Garantie dafür, geliebt zu werden.“  (Mir fallen da einige Ehefrauen ein, die alles für ihre Familie getan haben, eigene Interessen zurückgestellt, sich aufgeopfert und auf viel verzichtet, die Rollen der Ehefrau, Mutter, Tochter und Schwiegertochter und sämtliche an sie gestellten  Erwartungen vorbildlich erfüllt haben und dann nach 25 Jahren Ehe verlassen und ersetzt wurden durch junge Frauen, die so individuell und aufregend unangepasst  waren. (Im ersten Moment hart, aber die meisten dieser Frauen, die ich kenne, haben nach dem ersten Schock die Ärmel hochgekrempelt und mit sehr viel Neugierde und Begeisterung entdeckt, was ihnen Spaß macht…)

5.2 „Die Anderen sollten meine Erwartungen erfüllen, damit ich sie liebe“

– Ist da etwas Wahres dran? Nein? Warum unterstellst du den Anderen dann, dass sie dich nur dann lieben, wenn du die Bedingungen erfüllst? Oder hast du gerade mit Ja geantwortet und fühlst dich ein bisschen ertappt? Dann wäre es sinnvoll, deine Definition von Liebe mal näher zu beleuchten 😉

5.3. „Ich sollte meine Erwartungen erfüllen, damit ich geliebt werde.“

Löst dieser Satz weniger Druck aus? Nicht unbedingt – Mir persönlich macht jeder „Sollte“-Satz mehr oder weniger Stress. (Ich habe da sofort die Postkarte im Kopf „Nen Scheiß muss ich!“) Aber bei den Ich-Sätzen beginnt dein Handlungsspielraum. Wenn du jetzt hinterfragst, welche Sehnsucht dahintersteckt, kommst du der Lösung sehr schnell näher. Es geht um vollständige, bedingungslose Akzeptanz und mal wieder die berühmte Selbstliebe. Für deine Erwartungen trägst du die Verantwortung, wie/ wer du sein willst, liegt in deiner Hand. Über die Erwartungen der Anderen hast du keine Kontrolle!

Lass uns hier das Wort Erwartungen durch Werte ersetzen. Wenn DU deine Werte lebst, bist du authentisch, selbstbewusst und strahlst aus, dass du zu dir stehst. Wenn du mit dir im Reinen bist, bist du nicht mehr auf die Bestätigung der Anderen angewiesen (darüber hinaus macht authentische Selbstliebe sehr viel attraktiver als ängstliche Anpassung).

Manchmal ist der Zweifel ausgesprochen nützlich, wie sonst sollten wir die Urteile über uns lockern und überwinden? Ich mag den Zweifel vor allem dann, wenn er mich zu intelligenten Fragen und neuen Erkenntnissen führt. „The Work“ ist ein Schlüssel, um unterscheiden zu lernen, wann dich (der Glaube an) ein Gedanke  stärkt und welche Gedanken dich kleinhalten.

Wenn du Lust hast, probiere es aus. Wenn du merkst, ein bestimmter Gedanke zieht dich runter, dann nimm dir die Zeit, diesen Gedanken zu überprüfen. Im Idealfall schriftlich und mit großer Gründlichkeit bei den Fragen 3 und 4.

Weitere Beispiele zeige ich dir in zukünftigen Beiträgen. Bis dahin viel Spaß beim Erforschen der Frage „Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?“ 🙂

 

7 Kommentare
  1. madameflamusse
    madameflamusse sagte:

    Super, ich liebe TheWork..manchmal fallen mir allerdings nicht so richtige Aussagen ein mit denen ich Sie machen kann. Hab zu Weihnachten „Lieben was ist“ bekommen und höre garde viel..ganz toll.

    Antworten
  2. Martina Belling
    Martina Belling sagte:

    Ein sehr guter, sehr verständlicher Text, da das Beispiel hervorragend gewählt ist! Auf diese anschauliche Art und Weise wird „The Work“ jedem lebensnah deutlich!!! Danke, Franziska! Ich werde diesen Artikel auf meiner Glückszeiten -Seite teilen!

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  3. Guido Reick
    Guido Reick sagte:

    Ganz toll beschrieben ! Ich schätze the Work von Katie Byron sehr. Eine große Unterstützung ,um festsitzende GS zu entkräften, wäre in Kombination dazu Beyond Imagination mit der IITM-Methode von Sarah Hadinoto. Ich habe selbst schon sehr egffiziente Erfahrungen damit gemacht.

    Antworten
    • Franziska
      Franziska sagte:

      Danke Guido 🙂 Wie lassen sich beide Methoden denn verbinden? Magst du ein Beispiel beschreiben? Ich bin neugierig 🙂

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