Seit ich gestern Abend von den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln gelesen habe, überlege ich, was ich dazu heute schreibe. An wem die Schlagzeilen vorbei gegangen sind: Am Kölner Hauptbahnhof wurden mehrere Frauen von Männern in kleinen und größeren Gruppen ausgeraubt und sexuell belästigt. Inzwischen gibt es wohl um die 90 Anzeigen.

Ich möchte das gerne kommentieren und zwar so, dass es einen Nutzen für dich als Leser solcher Nachrichten hat. Das heißt, ich beteilige mich weder an der Zurschaustellung der Erlebnisse der betroffenen Frauen noch an der verallgemeinernden Verurteilung der Männer. Ich suche in dir auch keinen Verbündeten, der meine Meinung teilt. Stattdessen möchte ich dir einen gesünderen Weg zeigen, mit dem Schmerz umzugehen, den solche Nachrichten für die meisten Menschen mit sich bringen. Mit Schmerz meine ich schmerzhafte Gefühle wie Wut, Angst, Hilflosigkeit, Hass  usw.

„Normal“ im Sinn von „wie die Mehrheit damit umgeht“ ist in dieser wie in vielen vergleichbaren Situationen, seine Aufmerksamkeit nach außen zu richten,  die Opfer zu bemitleiden und die Täter gedanklich zu richten.

Unser Mitleid hilft jedoch nicht. Wer mit-leidet, nimmt nicht mehr den Anderen wahr, sondern projiziert, wie er sich selbst in der gleichen Situation fühlen würde. Mitleid zieht in der Regel beide Parteien runter, verstärkt Ängste und macht beide kleiner und hilfloser. Wer stattdessen Mitgefühl empfindet, kann den anderen unterstützen und stärken, indem er die Gefühle des anderen nachempfinden kann und ihm mit Verständnis begegnet ohne dabei zu leiden. Ich wünsche den betroffenen Frauen, dass jede von ihnen jemand an ihrer Seite hat, der ihr hilft, das Erlebte zu verarbeiten.

Der Drang, Täter gedanklich zu richten ist nachvollziehbar, hat aber kaum eine befriedigende Wirkung. Sich die eigene Meinung von anderen Menschen bestätigen zu lassen und sich dabei gegenseitig in Wut, Anklagen und Rachegedanken zu bestärken, mag kurzfristig erleichtern, verhindert letztendlich aber nicht das Gefühl, an der eigenen „gerechten“ und dennoch ohnmächtigen Wut fast zu ersticken.

Wo liegt dann also die Lösung?

Zu resignieren oder aufkommende Gefühle zu ignorieren (netter Versuch 😉 ) verlagert die Auseinandersetzung nur auf die körperliche-gesundheitliche Ebene. Wenn die Angst im Bauch sitzt oder Sodbrennen verursacht, die nicht beachtete Hilflosigkeit den Schlaf raubt oder unterdrückte Wut Schultern und Kiefer verspannen lässt, ist der Ursprung der Symptome oft nicht mehr unmittelbar zu erkennen.

Innere Ruhe wird dann möglich, wenn du deine Aufmerksamkeit nach innen lenkst und deine Gefühle bewusst wahr- und annimmst. Schreibt sich leichter, als es umgesetzt ist, ich weiß.

In unserer Gesellschaft ist eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Gefühle üblich. Je nachdem, welche Erfahrungen du gemacht hast, sehen deine Bewertungen aus. Wenn du als Kind wütend sein durftest, hast du wahrscheinlich kein Problem mit Wut (außer du hattest einen cholerischen Elternteil..). Von vielen Frauen, die in unsere Praxis kommen, wurde früher erwartet, dass sie als Mädchen lieb, brav und leise sind – Wut war ein Tabu. Für diese Frauen gehört Wut zu den „schlechten“ Gefühlen (denn: Wut = Ablehnung = Liebesentzug –> unbedingt zu vermeiden!!). Manche Männer setzen Wut mit Aggression und Gewalt gleich. Wenn sie aber nicht aggressiv und gewalttätig sein wollen, ist Wut „schlecht“ und darf nicht gefühlt, zumindest aber nicht ausgedrückt werden.

Ähnlich sieht es mit Trauer aus – durftest du traurig sein und auch mal weinen oder hast du Weisheiten wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ gehört oder warst empfindlich, zu sensibel, eine Heulsuse…?

Nicht für jeden Menschen ist die Einteilung der Gefühle in „positiv / geht in Ordnung / ungefährlich“ und „negativ / zu vermeiden / gefährlich“ gleich.

Einig sind sich die meisten in der Ablehnung von Angst, Hilflosigkeit, Scham und Ekel. Minderwertigkeits- und Schuldgefühle scheinen hingegen für den ein oder anderen besonders attraktiv 😉

Auch Freude, Liebe, Mut, Vertrauen, Geborgenheit, Begeisterung usw. sind in ihrer Bewertung nicht so eindeutig, wie du vielleicht im ersten Moment vermutest. Wer  Glaubenssätze gespeichert hat wie zum Beispiel „Liebe macht blind.“ oder „Wenn ich mich zu sehr freue, kommt jemand und zerstört mein Glück.“ findet auch diese Gefühle nicht unbedingt erstrebenswert.

Ich mache an dieser Stelle eine Pause, um dir die Gelegenheit zu geben, dich mit Papier und Stift der Frage zu widmen: Welche Gefühle bewertest du als positiv, welche als negativ?

Für Ungeduldige (Ungeduld stand jahrelang auf den vorderen Plätzen meiner Lieblingsgefühle… grmpf) geht´s gleich hier weiter.

 

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