Der Zusammenhang zwischen unbewussten Überzeugungen und dem eigenen Gewicht

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Dass Essen eine Ersatzbefriedigung für unerfüllte Bedürfnisse sein kann, ist inzwischen anerkannt. Wenn Nahrungsaufnahme Geborgenheit, innere Wärme und Zufriedenheit schenkt, Langeweile mindert, Frust besänftigt oder als Belohnung dient, führt das schnell dazu, dass man verlernt, das eigene Hungergefühl zu erkennen. Und schon nimmt man weit mehr als nötig zu sich und sammelt zusätzliche Kilos an.

Nahrung an sich kann auch für Informationen stehen, die zwar in Mengen konsumiert, aber nicht verwertet und umgesetzt werden (z.B. das hundertste schlaue Buch, das zwanzigste tolle Seminar, viel Theorie, aber wenig verinnerlichte und angewandte Praxis).

Hier soll es jedoch nicht um die Menge oder die Häufigkeit des Essens an sich gehen, sondern um die (meist unbewusste) Motivation, am eigenen Übergewicht festzuhalten.

Was können Ursachen sein, wenn Nahrungsumstellung und Sport keinen anhaltenden Erfolg bringen, alle physischen Gründe (z.B. eine Schilddrüsenunterfunktion) ausgeschlossen sind, Ersatzbefriedigungen erkannt und umgelenkt wurden und der Körper trotzdem kein Kilo hergibt?

Im Tagesbewusstsein kann unerwünschtes Übergewicht viel Leid verursachen, im Unterbewusstsein spricht dagegen alles dafür, sich auf keinen Fall von den zusätzlichen Kilos zu trennen. Denn unsere Körper suchen sich nicht selbst aus, wie viel oder wenig sie wiegen. Als treuer und sehr loyaler Partner entspricht der Körper bedingungslos dem geistigen Gedankenkonstrukt.

In Hypnosesitzungen ebenso wie in zahlreichen systemischen Aufstellungen, in denen wir Stellvertreter für den Körper des Aufstellenden und für das Übergewicht positioniert haben, hat sich gezeigt, dass kein Körper das zusätzliche Gewicht aus sich heraus gewählt hat. Die eigenen tiefen Überzeugungen sind entscheidend, der Körper manifestiert diese Gedanken lediglich sehr zuverlässig.

Dabei ist für den Betroffenen in der Regel überhaupt nicht klar, um welche Überzeugungen es sich handelt. Die Fragen „Was ist das Geschenk deines Übergewichts?“ und „Was würde dir ohne das Übergewicht fehlen?“ erscheinen auf den ersten Blick meist völlig abwegig. Vor allem, wenn doch schon so viel unternommen wurde, um abzunehmen. Wo sollten da Geschenke liegen?

Und doch gibt es sie, die Vorteile und dadurch die Motivation, Bewährtes aufrechtzuerhalten! Die individuellen Gründe können dabei so verschieden sein wie die Menschen selbst.

Einige Beispiele aus meiner Praxis:

Frau B. lebte mit 37 Jahren noch immer in einer kleinen Wohnung mit ihrer Mutter zusammen. Nicht, weil sie nie den Wunsch gehabt hätte, auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen, sondern weil sie nicht die Kraft aufbrachte, sich gegen die herrische Art und die Verbote der Mutter durchzusetzen. Frau B. bekam kein Recht auf eine eigene Meinung zugestanden, ständig wurde ihr über den Mund gefahren, sie wurde ausgelacht, beschimpft und erniedrigt. Ihr Übergewicht diente ihr unbewusst als Schutzwall und Garantie, zumindest ein bisschen Raum einzunehmen. Die tief sitzende Angst, völlig vereinnahmt oder vernichtet zu werden, verhinderte, dass Frau B. ihrer Mutter gegenüber Grenzen setzen konnte.  Die Sehnsucht nach Abgrenzung verlagerte sich auf die körperliche Ebene und drückte sich dadurch aus, dass Frau B. durch starkes Übergewicht zumindest körperlich Raum einnahm. Wäre Frau B. zu diesem Zeitpunkt schlanker / schmaler gewesen, hätte sie sich als noch verletzlicher und schutzloser empfunden.

Bei Frau H. hingegen kamen die entsprechenden Überzeugungen von ihrer Mutter. Frau H.s Mutter wuchs in einem russischen Waisenhaus unter ärmlichsten Bedingungen auf. Die Lebensmittel waren so knapp, dass sie nicht nur einmal kurz vor dem Verhungern stand. Als Erwachsene, mit einem gut verdienenden Mann verheiratet und in Deutschland lebend, hatten sich ihre Lebensbedingungen völlig verändert. Um die Versorgung mit Nahrung brauchte sie sich keine Gedanken mehr machen. Doch ihre Kindheitserfahrungen und die alte Existenzangst steckten ihr tief in den Knochen. Die Gefahr, zu verhungern, war für sie ihr Leben lang real – nicht rational, aber gefühlt. Ihre beiden Kinder hielt sie daher ständig zum Essen an, lieber eine Portion mehr als zu wenig. Frau H. übernahm (ebenso wie ihr Bruder) unbewusst als Kind die Glaubenssätze ihrer Mutter: „Wenn ich abnehme, werde ich in schlechten Zeiten verhungern. Jedes zusätzliche Kilo sichert mir mein Überleben.“. Diese tief im Unbewussten schlummernden Überzeugungen waren ihr nicht bekannt, wirkten aber auch in der erwachsenen Frau weiter und machten ein Abnehmen unter eine bestimmte Gewichtsgrenze unmöglich, gleichgültig, wie wenig sie aß. Solange diese Gedanken unhinterfragt als wahr akzeptiert wurden, blieben die Kilos. Logischerweise, ist doch das Überleben wichtiger als jedes Wohlfühlgewicht.

Auch Frau L. hatte die Überzeugungen, die eine dauerhafte Gewichtsreduzierung verhinderten, von den Frauen ihrer Familie übernommen. Ähnlich wie bei Frau H. gab es auf einer langen Flucht Erfahrungen von Hungersnot. Zusätzlich spielte hier aber ein anderes Puzzleteilchen eine weitaus  größere Rolle. Über mehrere Generationen hinweg wurden viele Frauen der Familie sexuell missbraucht. Frau L.s Mutter zog bewusst oder unbewusst folgende Schlüsse aus den Erfahrungen ihrer Familie: „Männer finden schlanke Frauen attraktiv. -> Attraktive Frauen werden von Männern missbraucht. -> Männer finden stark übergewichtige Frauen nicht attraktiv. -> Wer nicht attraktiv ist, wird nicht missbraucht. -> Übergewicht schützt vor Missbrauch.

Natürlich entspricht diese verallgemeinernde Interpretation nicht der Wahrheit! Für Frau L.s Mutter jedoch war diese Schlussfolgerung wahr, sie glaubte daran. Ihre Tochter wog schon als Baby mehr als andere Kinder, was Frau L.s Mutter förderte. Tatsächlich war Frau L. bis zu unserem Kennenlernen ihr Leben lang übergewichtig, wurde jedoch nie sexuell missbraucht. Die Schutzstrategie ihrer Mutter hatte also den gewünschten Erfolg.

Schlanksein war mit einer solchen Gefahr verbunden, dass die Angst davor größer war als das Leiden unter den Folgen des Übergewichts. Die Knie- und Rückenschmerzen, die Schwierigkeiten beim Kleiderkauf, die Selbstablehnung vor dem Spiegel – all das war letztendlich das geringere Übel.

Auch hier gewann also der Selbsterhaltungstrieb.

Eine Frau beobachtete, dass die kleinen, zierlichen Frauen in ihrer Umgebung nicht ernst genommen wurden, sondern auch in reifem Alter als Mädchen belächelt wurden. Sie wollte aber in ihrem Frausein und mit ihrer Meinung akzeptiert werden, also gab sie sich selbst und ihren Argumenten mehr Gewicht.

Eine andere Dame arbeitete mit feinstofflichen Energien, höheren Schwingungen und Geistwesen und war die meiste Zeit des Tages gedanklich mehr „im Himmel“ als auf der Erde. Ein bisher unbewusster Teil in ihr hatte Angst, die Bodenhaftung zu verlieren, durch ihre Arbeit zu sehr abzuheben und sehnte sich nach Erdung. Ihr Gewicht gab ihr die nötige Schwere, um auf der Erde zu bleiben.

Ein körperlich großer Mann verband in seinem Denken Sportlichkeit und einen fitten Körper unmittelbar mit dem Dasein als Krieger in ständigem Kampf. Er war der Gewalt so überdrüssig, dass er auf keinen Fall mehr kämpfen wollte. Ein vitaler, trainierter Körper hätte Kampf bedeutet, eine „gemütliche“ Figur gab ihm die Erlaubnis, harmlos, ungefährlich und friedlich zu leben (und zu wirken).

Ein anderer Mann wurde als Junge ständig einen tollpatschigen Trampel genannt. Loyal den Urteilen der Eltern gegenüber, wie es allen Kindern eigen ist, übernahm er die abwertenden Urteile seiner Familie. Trampel sind dick. Würde er abnehmen, würde er dem Bild seiner Eltern nicht mehr entsprechen, was noch mehr Ablehnung zur Folge hätte. Sich den Urteilen zu fügen und entsprechend angepasst weiter zu leben, erschien als die weniger schmerzhafte Alternative. Auch hier wirkte die Motivation, am Übergewicht festzuhalten, vollkommen aus dem unbewussten Schatten heraus. Einmal erkannt, war nach der ersten Wut sofort der Wille zu einer Veränderung da.

Der Körper reagiert auf unser System aus Gedanken und Überzeugungen. Er gibt den Gedanken eine Form für ihre physische Entsprechung. Wer das erkennt, kann große Erleichterung erfahren, weil der Körper nicht länger als Feind oder Verräter verkannt wird, sondern geachtet werden kann als ein treuer Freund, der manches Opfer bringt und dem Dankbarkeit gebührt.

Das gilt natürlich auch bei unerwünschtem Untergewicht. Auch in diesem Fall lohnt es sich, nachzuforschen, welche Geschenke das Untergewicht zu versprechen scheint. Wer sich zum Beispiel selbst keinen Raum zugesteht, lieber Mädchen (oder Junge) als erwachsene Frau (/ Mann) bleiben will, unsichtbar sein möchte oder Leben und Materie an sich verachtet, wird auch bei noch so viel Essen nur schwer zunehmen.

Die Lösung liegt hier wie so oft darin, sich die ursächlichen Überzeugungen und Glaubenssätze bewusst zu machen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, ihren bisherigen Wert dankbar anzuerkennen und sie dann in gesündere Alternativen zu transformieren.

Missverständnisse, Fehlinterpretationen und einseitige Blickwinkel aus einer eingeschränkten Wahrnehmung heraus haben zu hinderlichen Glaubenssätzen geführt. Und doch waren sie in der Regel zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nützlich.

Selbstverständlich finden nicht alle Männer alle Frauen mit Übergewicht unattraktiv. Ebenso selbstverständlich finden nicht alle Männer alle schlanken Frauen attraktiv. Und genauso eindeutig  klar ist es nicht vom Gewicht abhängig, ob jemand missbraucht wird oder nicht. Frau H. hatte durch ihre Überzeugungen trotzdem eine Zeit lang profitiert, weil sie ein solches Selbstverständnis entwickelt hat, vor sexueller Gewalt geschützt zu sein, dass sie eine entsprechende Resonanz ausgestrahlt hat. Irgendwann wurde der alte Schutzmechanismus zur Last, das belastende Übergewicht führte zu Leidensdruck und Frau H. war bereit, ihre alten Gedankenmuster zu erkennen, zu hinterfragen und zu verändern. Wir fanden gemeinsam Alternativen, sich vor Missbrauch zu schützen, sie dankte gedanklich ihrer Mutter für deren Fürsorge, gab den Kampf gegen den eigenen Körper auf und ermächtigte sich selbst dazu, in Freude eine Figur zu erlangen, mit der sie sich wohl, gesund und schön fühlte.

Das ist bei weitem kein Artikel, der dazu aufruft, ab- oder zuzunehmen oder gängige Schönheitsideale zu bestätigen. Wer sich wohl fühlt mit sich, ist dazu aufgerufen, das von Herzen zu genießen, völlig gleich-gültig, mit welcher Figur! Ich möchte denjenigen, die schon alles versucht haben und trotzdem kaum Veränderungen sehen, eine neue Spur zeigen:

  • Gehe von der These aus, du hast im Moment genau das Gewicht, das deinen Überzeugungen entspricht.
  • Was gewinnst du durch dein (Über- / Unter-) Gewicht? Was würde dir fehlen, wenn du weniger / mehr wiegen würdest?
  • Willst / kannst / darfst du dein Gewicht verändern? Glaubst du, dafür eine Erlaubnis zu brauchen? Kannst du dir diese Ermächtigung selbst geben?

Akzeptiere den Ist-Zustand. Würdige ihn  in Dankbarkeit. Finde, wenn nötig mit Hilfe, die ursächlichen Überzeugungen, überprüfe und transformiere sie (zum Beispiel mit Byron Katies „the Work“), dann halte den neuen Fokus mit Freude.

Alte Gewohnheiten sitzen oft tief und melden sich hartnäckig, das heißt, die Kilos verschwinden oder kommen nicht über Nacht, aber die Basis zum Ab-/Zunehmen und vor allem zu einem freundlichen Verhältnis zum eigenen Körper sind damit gelegt. Viel Erfolg dabei!

Diesen Artikel hatte ich als Beitrag für das MaaS-Magazin, Ausgabe Nr. 5 geschrieben. Dieses Magazin, herausgegeben von Anita Maas, ist so inspirierend, ermutigend und wohlwollend, dass ich seit der ersten Ausgabe großer Fan bin. Es ist mir eine Freude, dass ich mit meinem Artikel ein Teil davon sein darf! 🙂 Da der Platz logischerweise beschränkt ist, wurde der Text in für mich wesentlichen Teilen gekürzt (was ganz hervorragend zu meinen Befürchtungen passte – Resonanz funktioniert eben immer ausnahmslos 😀 ). Hier hast du den vollständigen Beitrag vor dir. Ich bin seeeeehr gespannt, wie du zu diesem doch brenzligen Thema stehst und freue mich sehr über Kommentare und Feedback!
https://www.maas-mag.de/

 

 

 

 

 

 

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